Totenrede

Liebe Familie, liebe Freunde,

uns ist noch nicht bekannt, wie uns die Sterne stehen werden an unserem Todestag. Helmuts Todestag ist der 5. April 2020. Wir kommen auf sein Datum noch zurück.

An jenem Sonntag, ziemlich mitten am Tag, starb er nach langem Ringen. In seinem Abschied von seinem materialen Körper nahm sich jede Etappe jeweils die benötigte Zeit für diese Etappe. Der Rückzug vollzog sich bei Helmut sorgfältig, somit geduldig und vollendet geordnet.

Die Sonne schien. Alles war überaus frühlingshaft und mild.  Von der Temperatur her glichen sich drinnen und draußen tagsüber allmählich an. Der Gärtner, der Schnitter war für 50 Euro am Samstag da, den Rasen zu mähen, dem Tag vor dem Tod. Vereinbart war für ihn eigentlich Montag; der Rasen wurde aber dann unvermittelt doch am Samstag gemäht. Die Dinge waren also getan. Helmut war bereits ziemlich mitgenommen. Nach einer für uns Menschen schlimmen Nacht am Sterbebett, war es Sonntag.

Der Todeskampf, der Rückzug der Lebensenergie aus dem Körper, die Loslösung, die erste Erlösungsstufe seiner Seele nahm sich also viel Zeit in schöner Umgebung. Von uns – für uns war der Abschied am Sonntag, nach der Nacht von Samstag auf Sonntag, spürbar auf der Materieebene getan. Die Atmungssintervalle Helmuts verlängerten sich zusehends.

Geschieht dieser gesamte Zyklus des Abschieds in seinem Werden in Ruhe, wie bei Helmut, ohne Not oder Plötzlichkeit –  nimmt sich offensichtlich jede dieser Etappen, jedes Kämpfen in diesem Abschied, die im Idealfall vorgesehene Zeit. Interpretiert man es als Kampf, folgte bei Helmut ein Gefecht in guter Kampfesordnung dem nächsten. Über diese Etappen stellte sich bei Helmut eine Konzentration des Körpers, der Seele, des Geistes ein. Die Konzentration, das Zusammenziehen, die Verdichtung lagen auf dem Gelingen, jedes originäre Stück an Etappen mit Sorgfalt zu absolvieren. Dieser Kampf war hier in unserer Welt sein letzter Kampf vereint mit seinem materialen Körper. Und er wollte ihn als diesen letzten Kampf führen. Alles zusammen ergab das Bild einer Schlacht.

Jede Etappe bezog dann den ihren zeitlichen Platz in dieser idealen Aktion der Dreifaltigkeit von Körper, Seele, Geist. Die Etappe und der Mensch, beide, verschmolzen zu einem Prozess des Ent-wickelns, wurden eins.

Das Wort „Entwickeln“ gibt in zwei Silben das Paradoxe, das Rätsel dieser Situation wieder: eine Ent-wicklung führt aus Ver-wicklung.

Verwicklung nennt man im Seelischen oft Schuld. Genereller führt die Entwicklung im Sterben heraus aus der Verwicklung in das hiesige Leben. Sie wickelt ab und fädelt ein in etwas Neues. Dieses Neue kann verwickelter und feiner gewickelt sein als das Vorherige. Sonst wäre es ja keine Entwicklung im weiteren Sinne des geläufigen Sinnes.

Im positiven Sinne gebraucht, bedeutet Entwicklung das Erreichen höherer Ordnung und meist in irgendeinem Maßstab ein größeres Ausmaß, höhere Sinnhaftigkeit. Auch die Weiterentwicklung heißt immer noch im heutigen Sprachgebrauch Weiter – ent – wicklung und nicht einfach „Weiter-wicklung“. „Weiter-wicklung“ hätte für uns das Gegenteil einer Weiterentwicklung. Es wäre nur Langeweile, ein Fortschritt ohne eine Weiter-ent-wicklung. Eine „Weiter-wicklung“ wäre also damit gerade keine Weiterentwicklung, wie wir sie verstehen. „Ent-“ scheint als Silbe also sehr wesentlich und bedeutend zu sein.

Entwicklung heißt landläufig auch besser, intensiver.

Aber das deutsche Wort hat eben unbedingt, wie wir gesehen haben, auch die Konsequenz des Wortwörtlichen: Es wird, so sagt die deutsche Sprache unumwunden und knallhart, von allem, was kommen mag, das eine Ende zuerst entwickelt!

Der Knoten wird zuerst gelöst, zuerst wird ein Ende gemacht. Das Wort für Entwicklung lautet ja im Deutschen nicht „Wickelende“, also das Ende stände so am Ende, sondern dezidiert steht das Ende in der deutschen Sprache am Anfang, also das Ende ist der Anfang! Vielleicht macht das einen wesentlichen Teil des deutschen Erfolges aber auch der Geschichte der Deutschen aus. Zuerst kommt in der Weisheit der deutschen Sprache das Ende, und die Erfahrung bestätigt das, dann das Wickeln, also Entwickeln und nie „Wickeln Ende“ – ohne weitere Motivation. Motivation, schön und gut, aber die Achtung vor den Reihenfolgen im Prozess und vor allem vor dem, was man sich schlichtweg nicht ausmalen kann, ist das Ent-scheidende im Deutschen.

Die Entscheidung, will man Neues beginnen, braucht vor allem die Aufmerksamkeit jenes genau mit Bedacht zu beenden, was war. Zuerst kommt daher die Re-Kapitulation, das Entknoten, die Kapitalisierung der Beziehungen, die Wertschätzung, der Abschied, dann der Vollzug der Entscheidung, die von ihrem Charakter her nicht aufschiebbar ist. Man erspart sich damit auch die spätere Kapitulation, das Unvermögen, die Insolvenz.

Dieser Knoten, der gelöst wird, ist beim Sterben der Knoten der Verbindung in das organische Leben. Das organische Leben kann ein Knäuel sein. Die Weisheit des Rätselwortes „Entwicklung“ lautet also im Akzent: Keine Entwicklung auf der einen Seite ohne das konsequente und sorgfältige Ende auf der anderen Seite. Die Sprache achtet also sehr auf das Ende – vor jeder Entwicklung! Entwicklung geschieht dual. Sie will kein Knäuel, Entwicklung will Ordnung.

Für einen Angler und seine Schnur, will er diese vor dem Angeln an die Angel bringen, ist das nichts, was großer Erklärung bedarf. Mit einem Knäuel Schnur kann man nicht angeln gehen.

Will er die Schnur nutzen, um wirklich zu angeln, weiß er, einleuchtender Weise, er muss  die Angelschnur zuerst sorgfältig, möglichst auf einer runden Spule aufspulen, also vorher mindestens auf einem Stück Holz, Zyklus für Zyklus, Windung für Windung, von einem Ende her aufrollen. Desweiteren sollte er sich nahe ans Wasser begeben, in der Theorie oder ohne das Wasser kann man nicht Angeln. Auch kann er im Boot oder am Steg über dem Wasser sein, sonst aber macht „das Angel Auswerfen“ keinen Sinn. Das Wasser steht in den Mythen und Überlieferungen für das Plasmatische der Seelenheimat. Das Flüssige steht für die Seele, das See-lische.

Diese mit der See gemeinte Heimat der Seelen liegt hinter unserer physikalischen Welt. Die See und der See, auf dem oder an dem man beispielsweise angeln kann, stehen für das Reich des See-lischen. Die See, das Meer, die norddeutsche Seenlandschaft sind das Flüssige, uns das Sinnenbild des Feinstofflichen.

Die See, der See – beide Geschlechter werden dem Selben dual vergeben – und der Teich stehen für unsere Nachbarregion, das Unstoffliche, aus dem das materiale Leben kommt und in welches es zurückgeht. Die Angel ist ein Abkömmling des Lebensbaumes… am unteren Ende des Baumes liegt das Reich der Menschen, Midgard, Mittelerde. Aber auch der Pilz am Boden, der Brunnen, die Nornen, die Zwerge und so weiter und so weiter… Der Fisch als Symbol kehrt das Bild um, er ist ein Paradoxon aus Menschensicht: gelangt er in unsere Hände stirbt er. Nehmen wir ihn heraus, so muss er hier des Todes sterben an der Luft. Von dort nach hier kommt man also nur mit dem Ticket des Todes oder der Geburt. Das zeigt uns der Fisch anschaulich. Der Fisch ist dem Menschen ein Symbol der Bedingungen an der Tür zwischen Diesseits und Jenseits für den Menschen.

Und erst dann, erst, wenn die Angelegenheit des Angelns auch aus menschlicher Sicht einen Haken hat, dann lohnt sich der große Wurf und das Ent-wickeln.

In der Ausführlichkeit dieses gestaffelten Abschieds, den wir bei Helmut beobachten konnten und ein Stück weit begleiten durften – eben der Abschied eines Anglers – beschritten die drei – Körper, Seele, Geist – in Interaktion zueinander jede Stufung in einem ordentlichen Verfahren.

Seele, Geist und noch der Körper vollzogen dabei eine relative Entwicklung zueinander, betrachtet im Sinne einer relativen Theorie und einer eines Beobachters, ganz im Sinne Humberto Maturanas, Niklas Luhmanns oder der Quantentheorie. Wir Angehörigen blieben bei Helmut prozessural später, ständig immer weiter zurück, irgendwie klein gewordene Quanten in der Entfernung, verblieben am unwichtigen Ende des Prozesses des Austritts aus dem organisch-physikalischen Leben. Etwas grobschlächtig und zurückgeblieben fanden wir uns nach dem letzten Atemzug wieder vor. Wohin von Helmut auf der anderen Seite eingetreten wurde, konnten wir nur erahnen und mit dem eigenen Geist, der eigenen Seele erspüren. Der Angler Helmut fuhr mit seinem Boot weiter um das Schilf herum und wir konnten ihn nicht mehr sehen.

Der Mensch als Sterbender durchwandert, so nahmen wir zuvor wahr, eine höchst eigenartige Erlebniswelt. Es ist aber, zunächst einmal, nicht schwer zu begreifen, was geschieht: Der organische Körper wird schrittweise abgewickelt, zurückgelassen. Die Seele geht in gleichem Maße schrittweise über in das Reich der Seelen. Das Geistige des Helmut weiter hinein in das Geistige.

Alles rückt mindestens eine Staffelung weiter, betritt, wie man sagt, ein neues Level, anders als es bisher mit dem physikalisch-organischen Körper möglich war. Der Rückzug in diesem Ent-sprechungsystem ist sogleich damit ein Vorrücken, um ein definitives Ende gestaltet. Solches meint das Doppeldeutige des weisen Wortes der „Entwicklung“, zuerst das Ende, dann die Ent-wicklung. Das Wort legt auch darin eine Reihenfolge fest: den Start gibt das absolvierte Ende und das noch einmal gespiegelt in jeder Stufe der Loslösung.

Das entspricht auch der Lehre der Edda, dem germanischen Totenbuch. Um diese Stafette in Gang zu setzen, den Pulsschlag der Welten (so nennt es Holger Kalweit) muss sorgsam das Materiale beendet werden, das Organische. Das ist das, was der Gang und die Reihenfolge des Ragnarök, des Weltuntergangs  beschreiben. Das Weltenende des Organischen gibt es in der Portion „alle für einen“ und „eine für alle“.

Aus der Sicht des Geistes ist das Weltenende zeitlos, aus der Sicht der Organik und des Materialen eine Katastrophe als Abschluss des individuellen Lebens oder, auf alle bezogen, die Apokalypse. An diesem Ende, der Götterdämmerung, kommen wir mit unserer physikalischen Organik definitiv nicht vorbei. Sie hat mit uns keine Zukunft.

Offensichtlich geschieht diese Ent-wicklung nicht einfach allein, sondern in undenkbar großen Zusammenhängen. Erst, wenn jede Stufe in dieser Entwicklung erfolgreich absolviert wird, wird jede Stufe nach einer Weile vollständig von dem Dreigestirn Körper, Seele, Geist hinter sich gelassen und die nächste beschritten. Es ist gleichzeitig ein Einfädeln des Geistes in die größeren und feineren geistigen Dimensionen, ein Abwickeln der organischen Körperlichkeit, ein Entrollen des Seelischen in seine Heimatdimension Hel hinein, in den Hafen, in unsere Nachbardimension, nicht weit gelegen von uns physikalisch organisch lebenden Menschen. Wir Menschen suchen an der See, am Wasser die Entsprechungen, benötigen bereits die Symbole im Irdischen des Jenseitigen. Die Germanen nennen diese Heimat der Seelen im Jenseitigen, in der See auch Hel, das Helle. Wir kennen diese Silbe aus dem Namen von Helmut, sehr wohl. Spätestens jetzt, nach seinem Tode, sollte uns das Aufhorchen lassen.

Auf Rügen finden wir die Überreste eines Heiligtums an der nördlichen Spitze der Insel gelegen, an den abbrechenden Klippen, also über dem Meer gelegen, unter dem Himmel.

Diese Abfolge der Wanderung und Stufung im Sterben, dieses Aussiedeln ins Jenseits hat also besondere Aufmerksamkeit von Gewicht nötig. Hierfür, das gut zu tun, hat Helmut einen enormen Willen bewiesen, geübte meditative Konzentration, meisterlich. Er hat integrale Wärme, Liebe bereit gestellt, uns daran teilhaben lassen, solange wir dazu gehörten, meisterlich.

Auch die Konstellation mit dem Frühling konnte nicht besser sein. Sie bildet ein weiteres Ent-sprechungs-system. Zudem steht der 5. April astrologisch im Zeichen einer besonderen Konstellation. Der 5. April ist ein Höhepunkt. Die Saturn – Pluto Konjunktion, also das Zusammengehen dieser beiden Sterne, im Zeichen Steinbock hat uns in den letzten Jahren geprägt und gefordert. Es hieß ernst und hartnäckig, verantwortungsvoll auf der eigenen Bahn zu bleiben, sein Ding zu machen (nachzusehen bei Antonias Sterne auf Youtube). Das bedeutete auch Auszehrung und teils Überanstrengung. Das gilt weiterhin, die Konjunktion Saturn-Pluto gibt es ja erst einmal weiterhin. Der große Jupiter trat aber jetzt in diese Zweier-Konjunktion ein! Es gibt ab dem 5. April eine Dreierkonstellation! Andrea Bschlangaul legt diesen Eintritt Jupiters in ihrem Blog nun wie folgt für eine richtige menschliche Einstellung aus:

Jupiter ist der Planet, der für Sinn, Begeisterung und Wachstum steht…und er kommt der Saturn-Pluto-Konjunktion zu Hilfe. Er steht bis 19. Dezember ebenfalls im Zeichen Steinbock und trifft am 5. April, am 30. Juni und am 12. November 2020 exakt auf Pluto.

Im Umfeld dieser Tage kann dir der Sinn und die positive Konsequenz aus den Bemühungen und Anstrengungen bewusster werden. Mit einer positiven Grundeinstellung läuft vieles besser und  sie hilft, die Ereignisse anzunehmen wie sie sind und das Beste daraus zu machen. Also, finde deine Vision und bleibe deinen Werten treu.

Hel-mut. Dies gilt insbesondere Dir, der Du jetzt sicherlich bei uns bist. Der 5. April wurde Helmuts Aufbruchtag, voll Mut ins Helle. Auch für uns gilt dieses Eintreffen von Jupiter in dieser Konstellation bis zum 19. Dezember und macht bis dahin zweimal seinen Kreis.

Sehr souverän hat Helmut in den Tagen des langen Kontinuums des Sterbens eine Geistesanstrengung außerordentlichen Ranges absolviert. Für mich gab es lesbare Signale und diese haben mich stolz gemacht als seinen Sohn. Seine Arbeit der Transformation durften wir, wenn wir sie sehen konnten, beobachten. In dem Beginn seiner Arbeit war auch große Sorgfalt und Fürsorge für uns Hinterbliebene. Diese Fürsorge war in anderer Interpretation für uns wie das Vermelden von Siegen zwischendurch im Schlachtengetümmel.

Dieses ultimativ besondere Ereignis des Sterbens und der Ent-faltung gliedert sich also für die Angehörigen unter dem Augenmerk der Loslösung und des Abbruchs, des Endes. Diese Etappen können unter einem guten Vorzeichen stehen, dass sie gelingen – oder unter einem schlechten.

Sterben ist für jeden Menschen in der einfachsten Form kompliziert, gerade wenn nicht besondere Steine oder gesundheitliche Komplikationen im Weg liegen oder der Kampf Mann gegen Mann erfolgt.

Am Ende eines langen gelebten Lebens hilft bei der Lösung des Rätsels des Sterbens, welches jeder Sterbende lösen muss,  die Sorgfalt der wachenden Angehörigen im Hintergrund des Szenarios, der Pflegenden und in viel größerem Maße, mitten im Geschehen, aber diejenige des Sterbenden selbst. All das war Helmut gegeben und all das war von ihm vollumfänglich geleistet zur richtigen Zeit. Somit ist Helmut in einer Hoch-anstrengung, da er dazu in der Lage war, in gewisser Weise gesund am Ende eines langen Lebens gestorben, heil. Und wie er es nannte:“erlöst“.

Zu Hause im Kreise seiner Angehörigen und bei Frühlingswetter kann das Ersteigen der Stufungen exemplarisch vollumfänglich gelingen. Eine Seele kann sich glücklich schätzen, findet sie die Voraussetzungen vor, im Erfahren des Loslösens, ihren Schritten Gründlichkeit und Ordentlichkeit zu Teil werden lassen zu können. Die Seele sieht den Weg.

Oft springt die Seele und der Körper, es kracht und zuckt. Es geht unter dem Zeichen der gegenseitigen Loslösung von einander, auf den Stufen, vor und wieder zurück, um dann in Folge einen weiteren größeren Sprung oder Schritt zu machen ins Jenseits. Dann kommt da dem am Bett Sitzenden der Gedanke, was da wohl gerade gewebt oder gelöst oder gewickelt wird und wo das Ende der Schnur des Zeitlichen ist, was gerade so wichtig ist.

Manchmal tauchten im fortgeschrittenen Zyklus,  in einer überraschenden Wiederkehr und Wiederaufnahme, auch wir Angehörigen dann noch einmal in den Blick des Sterbenden. Wir gingen dann mit, vor und zurück – wie es sooft im Kampf geschieht oder in der Lösung einer Aufgabe.

Wir können den Weg über die aufsteigenden Stufen ins Helle als Kampf sehen. Je nach eigenem Wesen, womöglich besser verstehen. Das Geschehen der Loslösung der Seele vom Körper sieht auch danach aus. Es hört sich auch solchermaßen an. Die alte Verbindung, Seele – physischer Organismus, gibt sich nicht kampflos auf, jedenfalls nicht gleich end-gültig, nicht bei meinem Vater Helmut.

Betrachten wir noch einmal den Beginn des Todeskampfes, den Beginn dieser spezifischen Schlacht zwischen Diesseits und Jenseits: wir als Angehörige am Bett sind nicht nur Zuschauer. Wir gehören zu Beginn in das Zentrum der Aufmerksamkeit des sich ins Jenseits Zurückziehenden, des immer tiefer in den Todeskampf Eingehenden.

Am Anfang ist seine letzte Zeit der Menschen unter altem Vorzeichen angebrochen, da wir nicht wie die Skythen als Familienbund gleich alle mitgehen.

Aus seiner Sicht sind wir die Zurückbleibenden, an unsere Körper gebunden. Und wir sind doch gerade die, die ihm lieb sind und nicht mitkommen können. In dieser Etappe begleitet er uns durch dieses Geschehen noch mit seinem materialen Körper und mit seinen Gesten und Berührungen. Durch seinen Materiekörper hindurch schenkte er uns seine letzte solche Gegenwart und seinen Segen. Er kommuniziert uns bekannte und uns so lieb mit ihm gewordene Gefühls- und Aufmerksamkeitsformen, intensiver allerdings bald ausschließlich ohne Worte, aber noch physisch von in etwa gleich zu gleich, solange diese Brücke zu uns noch hielt.

Wir nahmen also mit unseren Körpern, mittels unserer Körper von dem Sterbenden Abschied. Helmut mit seinem Körper von uns. Wir drückten ihn mit unseren Armen, mit unseren Händen. Wir beweinten, wir nahmen ihn in den Arm. Wir weinten mit ihm zusammen. Wir hielten die Hände. Der Sterbende drückte uns, immer wieder, aufmunternd. Er segnete uns, erlöste uns von dem Bösen, was noch zwischen uns lag.

Wir streichelten, hielten die Hand, ließen nicht los. Wir knüpften ein neues Band mit ihm zusammen, jetzt dann gültig, ab sofort zwischen Diesseits und Jenseits. Der Sterbende, wir ahnten es, wird unser Ahn, dem wir verbunden bleiben. Wir ahnten den Ahn, der Helmut nun wurde.

Wir müssen unsere Ahnen nicht fortschicken. Dies gilt auch nicht nur für die besondere Zeitspanne direkt nach dem Tod, in der wir uns jetzt mit Helmut befinden.

Unsere Ahnen wussten von ihren Ahnen. Sie gehörten selbstverständlich dazu und waren mit ihnen eine Gemeinschaft. Sie wussten, die Ahnen bleiben den weiter materiell Lebenden, in der Nachbarschaft immateriell und nahe erhalten. Es ist wichtig und bedeutsam, wie wir unseren Immateriellen gesonnen sind, wie sie uns gesonnen sind, wie sie unser Leben bestimmen dürfen. Sie bilden einen sehr wesentlichen Teil unseres dynamisch, sich plasmatisch konstellierenden, gegenwärtigen und künftigen Lebens.

Nichts anderes hat auch Jesus seinen Jüngern gesagt: Ich bin nicht fort.

Ich bleibe – todsicher – bei Euch. Todsicher heißt auferstanden. So ist das Wort in unserer Sprache schon vor der Christianisierung gemeint gewesen.

Die größte Sicherheit gibt im ersten Schritt der Tod und zwar nur am Rande damit, dass er uns nicht erspart bleibt. Auch das ist Kern christliche Lehre geworden und war schon immer bekannt.

Ostern liegt nicht ohne Grund auf dem Datum eines heidnischen Frühlingsfestes. Die Aussagen unterscheiden sich kultisch in ihrem Kern kaum. Jedes Fest steht generell für ein Gesetz und damit für eine Lehre zwischen den Sphären des Geistes, der Seelen und des Körperlichen. Ostern ist wie der Frühling nach dem Winter die Aufbruchszeit in eine neue Ent-wicklung.

Auch das Christentum betont das Ende vor jedem Neuanfang. Die Germanen fanden mit ihrem Wort der Entwicklung das selbstverständlich und alltäglich.  Bis in die Gegenwart erweist sein tiefes Recht, was von weit vor unserer Zeit herkommt.