Erwiderung zu Prof. Dr. Johannes Heinrichs in der Flüchtlingsfrage

4. November 2015
Philosophie , Zeitgeschehen
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Antwort eines Abtrünnigen auf “Kulturelle Solidarität – der unerkannte Kern des Migrationsproblems”, erschienen in “Aufklärung und Kritik” 1/2016.

Eine gute Philosophie käut nicht wieder, erkennt Neues. Philosophie erweist diesem R e s p e k t. Sie stellt sich mit dem Vorgefundenen in seiner Verfassung in Frage. Das bisher Unbekannte bleibt sonst weiterhin d u n k e l.

Vor diesem D u n k e l b l e i b e n wäre sonst natürlich alles schon einmal Gedachte sehr erhellend.

Nicht einmal so welt- und gefühlsbewegende Ereignisse wie der europäische Neuadvent des Flüchtlingsstroms – die neue Mobilität der Zivilisten, des weltweiten Lumpenproletariats – die vulgär, ohne ein Hinterfragen der Realität, schmälernd als Flüchtlinge gekennzeichnet werden, führen zu Rissen oder neuen Schlüssen oder einem Umsturz im Elfenbeinturm. Johannes Heinrichs ist da leider keine lobenswerte Ausnahme. Seit Jahren stellt er andere von oben herab in die dumme Ecke (u.a. Jürgen Habermas). Dann beginnt er wieder sein System zum tausendsten Mal als das im Menschlichen alles wohl und passend Erklärende auszudeklarieren.

Besonders muffelig wird es dabei, wenn bei der Flüchtlingsfrage ebenfalls, semiotisch auszeichnend, dies durchexerziert wird. Anderes Erklärendes gibt es wohl auf der Welt nicht, kein Buch wie “Empire” von Negri und Hardt, keinen Franz Fanon, Deleuze, Guatarri, keinen Homi K. Bhabha, keinen William S. Burroughs, keinen N. Luhmann, keinen George Bataille, keinen Antonin Artaud z.B.. Auch keinen Nietzsche, keinen Baudrillard, keine Superstrings, keine Fragilität. Keine Quarks, keinen Gödel, keinen Holger Lyre. Keine Ergebnisse aus den harten Wissenschaften. Nichts als sein Heinrichsches System. Kein F r a m i n g (Elisabeth Wehling), in welchem alles zu geschehen habe oder ohnehin längst geschieht. Sie alle wackeln mit den Ohren anstelle zu Denken. Nur das Konstruieren von System sei Denken.

Im Unterschied zu Habermas gibt es bei Johannes Heinrichs keine außersystemische Lebenswelt. Diese “Krücke” braucht er nicht, weil er die Lebenswelt vollständig systemisch durchdrungen und damit in seinem System als Synthese aufgelöst hat. Hätte Habermas gedacht, hätte er auch keine Lebenswelt gehabt, so lässt sich verkürzt der Gedanken zusammenfassen. Eine solche R e s t e w e l t wird in einem System somit unnötig und verworfen. Nicht einmal eine Restewelt bleibt außerhalb des Systemischen damit übrig. Alles mutet, überspringt man das 20. Jahrhundert nach hinten, rückwärtsgewandt an, auf Religo-Art, ein verkürzter Idealismus. Die Rezeption der Zeit Hegels kommt uns entgegen. Wir sind nicht bald 1 Jahrhundert nach George Orwell. Die F u n k t i o n a l i t ä t bei Johannes Heinrichs wird s e l b s t in seinem scheinbaren “Pragmatismus”, seinem Explorarium der Zeichen, Ebenen und Sphären, leider noch nicht wirklich diskutabel. Auch diejenige Funktionalität der Sprache nicht im Sinne der verbleibenden Möglichkeiten des Hinterfragens an der Rückseite des Hauses der Zeichen, Ebenen und Sphären. Kurz, es gibt keine denkbaren Systemfehler, nur falsche Anwendungen und dumme Anwender, wenn sie das System nach intellektueller Anschauung nicht einsehen wollen. Medien, welche aber systemisch sind, also ins System gehören, sollen anderseits dann wieder, anstelle der Lebenswelt (Habermas) oder dem Unerkennbaren (Luhmann) oder der allgemeinen Deduktion des tranzendentalen Idealismus (Schelling) Substanz des nicht immer ganz Bestimmten, den Hort des Unermeßlichen abgeben. Alles gleitet ins Mystische, die Zeichen, die Medien, die Sphären, woran an sich nichts gegen zu sagen ist.

Die Lebenswelt hingegen lebt und evolviert von der D i f f e r e n z zum Systemischen. Johannes hat mir gegenüber, in vertiefenden Gesprächen, gern g e g e n den Begriff der Lebenswelt polemisiert. Dies kann man zu Recht tun.

Lebenswelt lässt aber, Unauflösbares wie Lösbares, gegenüber dem Denken zu, die Unabhängigkeit der Differenz, das Gegenübertreten, das In-Wirklichkeit-nehmen des Undenkbaren, ohne es überhöhen oder zu erniedrigen in die einschlägig mittelalterlichen Sphären. Das Denken bleibt mit dem Kalkül der Lebenswelt eben nicht unter sich, in sich. Es muss, anstelle eines womöglichen Scheindialogs, das Andere erst als Existenz akzeptiert haben, um letztere überhaupt zu sehen, dialogisch zu werden, zu sein, vor oder inmitten des Denkens. Somit dringt das eher angelsächsische Kalkül der Lebenswelt zwischenzeitlich, handlicherweise schnell tiefer, als ein evoziertes, letztlich womöglich nicht abgeleitetes System für sich selbst. Dieses Ringen um die Begründung / Ableitung / Deduktion / Gewinnung systemischer Aussagen ist jederzeit bei Schelling oder Hegel der Fall. Man kann die Lebenswelt wieder abschaffen. Das Spiel, so ohne Lebenswelt alles auf eine Karte zu setzen, ist dann aber extrem, sehr ernst: es muss die Deduktion der Wahrheit und des Lebens in eins geleistet werden.

Solchermaßen sollte man die Ausschließung der Lebenswelt letztendlich ganz bestimmt n i c h t mit Pragmatismus oder mit dem heutigen Konstruktivismus in eins setzen. Die Annahme einer Lebenswelt ist, wie Johannes Heinrichs zu Recht impliziert, jedenfalls stets auch ein Ausweichen vor einem möglichen Anspruch des Denkens, also eine Kapitulation und muss, als Reales auch als Reales einer bestimmten Grenze, auch als eine ebensolche Grenze der Freiheit, auch als eine Banalität, als Endlichkeit in die Erkenntnis wieder hinein, will man Philosophie unter der Annahme der Lebenswelt / mit Lebenswelt treiben. Das lässt sich wiederum von Philosophen der Lebenswelt verlangen.

Die Einräumung einer Lebenswelt als scheinbare Inanspruchnahme des Pragmatismus müsste, für solch einen Schritt, die Differenz, das Fraktale (Benoit B. Mandelbrot), das Zeichen als das einzig Lesbare für die Kommunikation im Unsystematischen, die Zerstörung von Lebensraum und Kommunikation, die Propaganda der Wissenschaft, die Disruption, das Risiko, eine neue Dekadenz und vieles Weitere heute kennen, analysieren und anerkennen und damit deutlich über Foucault und die leere Analytik der Kritik einer Dekonstruktion, über Skeptizismus hinaus gehen. Sonst stolpert der Gutwillige, gleich über seine Ratio hinein in dieses oder jenes Einerlei eines Denkschematas und meint, in dem er dort einer Aspergerfigürlichkeit hinterherläuft, zu Denken. Für den Asperger denkt man also im Umkehrschluss nicht, liefe man nicht die Wege seines Systems, um diesem Menschen über dessen Brücke entgegen zu kommen. 

Das Abgrenzungsproblem der Falsifizierbarkeit verschwimmt bei Johannes Heinrichs, nach meinem Kenntnisstand, in einem theologisch ausgreifenden M e d i u m, wogegen auch an sich nichts zu sagen ist. Man kann das akzeptieren. Leider kann man so, von dort, nicht einen interpretativen, nicht mystischen Diskurs von Funktionen oder Sonstigem erreichen, bspw. in einer Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften, mit digitalen Systemen und Netzwerken oder mit moderner Technologie zunächst ganz allgemein. Die Reise geht auch nicht in die reine Abstraktion. Russels berühmtes Bonmot gibt so noch keine Anknüpfung: “Die reine Mathematik ist jene Disziplin, bei der man weder weiß, worüber man spricht, noch ob das, was man sagt, wahr ist.” (Der Gödelsche Beweis, Ernest Nagel / James R. Newman, Seiten 18 – 19, Scientia Nova, Oldenbourg, 1987)

Es verbleibt der Hinweis auf die Vergangenheit in der Philosophie. Auch so kann man sich als Speerspitze betrachten.

Diese Vergangenheit liegt nicht begaben unter dem Heinrichschen System. Sie folgt a u c h nicht in einer Art Zeitumkehr dem Heinrichschen System, integral oder liefe auf es hinaus. Unsagbares und System arbeiten hier eher nicht Hand in Hand, proaktiv füreinander. Gott und Heinrichs arbeiten nur scheinbar am gleichen System. Die Tuchfühlung zum großen Unsagbarem und uns heute, der mystischen Gottheit, die wir uns selbst geworden sind, bleibt Schein. Schelling und Hegel sind so vieles, aber keine Vorläufer.

Unterschwellig suggeriert der unsagbare Beifahrer A l l m a c h t im System. A b w e i c h u n g e n von diesem Gedankensystem geschehen unter solchen Umständen ohnehin immer nur aus “Unverstand” der Handelnden und sind abzumahnen. Sie sind d e g e n e r a t i v e  Entwicklungen, die Johannes Heinrichs leider auch nicht als gut empfinden kann. Sie wollen schließlich einen S y s t e m v e r s t o ß bedeuten und sind damit g e g e n das Schöne gerichtet.

Niklas Luhmann, wie die Neue Musik ebenso, haben die Differenz und Denken aus der Differenz zum lohnenden Grundsatz erhoben. Dies gilt auch für die Abgrenzung des Denkens in der Postmoderne. Für Johannes Hegelschen Ansatz, der auf ein vermeintliches Ganzes bezogen bleibt und das Ganze selbstverständlich voraussetzt, wird das nicht rezipiert oder einsichtig. Es gibt bei ihm noch ein A l l e s oder dann, in Abwandlung nach Kant, das Kategorische. Systemisch ist das bei ihm die Voraussetzung für das sich darstellende Ganze geblieben, was sich systemisch genommen sehen will.

Nikolas Luhmann hat auch dieses Alles, es ist aber ein sehr begrenztes und als solches von ihm hingestellt. Sein Alles ist von völlig anderer Sorte, es ist k a f k a e s k. Wir bewegen uns bei Luhmann i n  d i e s e m  i n v e r s i v. Wir sind bei ihm die zum Menschlichen Verdammten.

Die Inversion gilt ihm als das “ganze Begrenzte”, ganz Begrenzte.

Das Ganze als ganz Bescheidenes, fatal Vermenschlichtes, Begrenzte, der Irrtum als System, im Sinne des “Abschieds vom Prinzipiellen” (Odo Marquard, 1981, reclam) angesichts der Verletzlichkeit des Menschen. Das Ganze, zusammengefasst als das Dumme also, bei Niklas Luhmann. Eine andere Haltung. Oder als das dem Menschen Tragische, bei Odo Marquard und vielen anderen.

Anders bei Johannes Heinrichs: Dass ein G a n z e s, verstanden in eins mit dem Medium, längst zu nichts Gutem mehr führt – der chronisch sich stets bestätigende Ideologieverdacht – wird aus Heinrichscher Sicht ein falsches kritisches Denken sein, eine Kritik um der Kritik willen an seinem doch so systemisch ausgeführten Denken, was das System doch so gut durchdringt und theoretisch entwickelt. Solche Kritik entspringt für ihn persönlicher Missgunst ihm gegenüber, damit dann chronischer Denkunfähigkeit als solcher, einer Kleinkariertheit. Kritik nimmt Johannes nur persönlich, weil die Denkunfähigkeit der anderen, kurios gedacht, ihn persönlich verletzen will oder missachten. Sein Opus selbst kann gar nicht betroffen sein von Kritik. Diese letztere kann, wenn sie das Systemische in seinem Werk hinterfragt, nur ungerechterweise seine Person treffen wollen. Diese Denkunfähigkeit der anderen ist, so einmal festgestellt, ein von ihm zu ahndender Niveauverstoß. Wie er sich im System wähnt oder auch nicht, steht er selbst i n P e r s o n, kurioserweise damit in narzistischer Weise ganz a u ß e r h a l b  s e i n e s Systems! Das System schafft seinem Schöpfer die ihnen beiden, System und Schöpfer, zugehörige P a r a n o i a, wiedereinmal…

Und die Kinder fressen das System, bis sie es ausspeien.

Komplexität denkt sich heute in scharfer Abgrenzung zu Ganzheiten. Komplexitäten evolvieren und benötigen, wenn schon, dann auch eine solche Philosophie.

Roger Highfield wrote in Frontiers of Complexity: “Within science, complexity is a watchword for a new way of thinking about the collective behavior of many basic but interacting units, be they atoms, molecules, neurons, or bits within a computer. To be more precise, our definition is that complexity is the study of the behaviour of macroscopic collections of such units that are endowed with the potential to evolve in time. Their interactions lead to coherent phenomena, so-called emergent properties that can be described only at higher levels than those of the individual units. In this sense, the whole is more than the sum of its components…”

Natural organisms are complex, adaptive systems, and our artifacts are now beginning to folow in their footsteeps. Adaption, Bio-inspiration, and Complexity thus underlie the new Computing ABC.

(Machine Nature, The Coming Age of Bio-Inspired Computing, Seite 3, Moshe Sipper, McGraw-Hill, 2002)

Ein komplexes Denken, was n i c h t in die Totalität führt, gilt bei Heinrichs allerdings noch nicht als systemisches Denken. Also letztlich gar nicht als Denken. Seiner eigenen Position zu seinem System, sich selbst als reflektives Wesen in Bezug auf seine Systematisierung zu sehen und  solcherart sich noch einmal zu reflektieren und per Re-Entry in die Reflexion einzubeziehen, wurde Johannes Heinrichs, trotz seinem zielführenden Hinweis mir gegenüber auf Gotthard Günther, für den ich sehr, sehr dankbar bin, leider noch nicht gewahr.

Reflexion gerät per deus ex machina bei ihm außerhalb des Systems. Der Denker zieht daraus aber auch keine Konsequenz als Kritiker, denn er glaubt an diese göttliche Maschine noch. Dieses Faktum bleibt ihm, ganz anders als der Postmoderne, unproblematisch.

Der B e o b a c h t e r im Sinne von Bruno Latour als Systemisches und Denkfigur, bildet nichts anderes ab als ein verstümmeltes Remake dessen, was Gotthard Günther in den 50. des letzten Jahrhunderts längst formuliert hatte. Bei Johannes: eine Fehlanzeige oder gleich überhöht entschwunden in das Numinose, Göttliche. Es wird nicht denkerisch problematisch als das dem System Zugehörige und damit als ein Göttliches zu Kritisierendes, oder als das Göttliche oder die Vermachtung im System, somit als ein aufklärerisch zu Verdammendes oder autoritär zu Bejahendes, je nachdem, wie man es für richtig hält. – Also allzuviel Ungedachtes und Vergessenes in diesem “System” der Zeichen von Johannes Heinrichs! Wir bewegen uns mental v o r dem Auftreten des Dispositivs (Michel Foucault), vor dem Antifaschismus vor dem Re-Entry. Ich sage nicht, seine Philosophie sei faschistisch, um da nicht falsch verstanden zu werden. Sie kennt ihn einfach nicht.

Kommen wir zum Titel dieses Pamphlets zurück, wie Johannes Heinrichs diesen seiner Auffassung nach nicht zu erwidernden, sondern zu löschenden Text richtigerweise nennt: Statt die Menschenrechtsfrage, die große Frage des letzten Jahrhunderts, ins Bild zu rücken, um weiter zu kommen, in dem was nun im Konflikt kategorisch oder nicht kategorisch beschäftigen m u s s, wird sein semiotisches Klassensystem reflexiver, hierarchischer Stufen ins Zentrum der Betrachtung gestellt. Wieder einmal wird d a s  S y s t e m als System unkritisch erläutert.

Johannes würde sagen, er habe bloß systematisch gedacht über “das Konkrete”, da nicht anders als systemisch, logisch zu denken wäre. Alles andere denken sei Gerede bzw. in Neudeutsch für ihn Diskurs. Das Konkrete bei ihm war das System systemisch gedacht!

Soweit kann ihm sogar hypothetisch gern gefolgt werden. Das eigentlich Konkrete wird allerdings gleich ins Systemische aufgelöst, bevor es stört. Die Problematik, keine Differenz, sondern Differenzierung zu denken, ohne ein Außerhalb mit Sagbarem oder Handelbarem,  kann den Input nicht wahrnehmen in das System. Das Systemische v e r f ä h r t mit dem Konkreten, längst bevor es zu uns sprechen dürfte. Mit allem weiteren gerät dann gleich das Neue oder das eigentliche Problem schnell in die Gefahr, einfach verstellt und darüber hinweg geredet zu werden.

Es beginnt keine A n a l y s e, sondern gleich die wiederholte Ausleuchtung des eigenen, proprietären Systems aufgrund eines neuen Stichworts, genannt “Flüchtling”, die Feststellung im System. Hierin unterscheidet er sich zunächst einmal in keiner Weise von der bisherigen katholischen Kirche, die über den Menschen die Regularien der Kirche gestellt hat, allerdings in der Flüchtlingsfrage nun einmal, kontradiktisch zu sich selbst, einen sehr human abendländischen, radial christlichen Ansatz als Diktum a n  a n d e r e verfolgt. Beobachtet wurde von mir aber leider nicht, der Vatikan quille tatsächlich und konkret über mit islamischen Heimsuchenden und habe auf dem Boden des Vatikans aus Gründen der Menschenrechte und einer Toleranz bereits eine Moschee gebaut auf Anweisung des Papstes. Dennoch, in der P r e d i g t an die a n d e r e n, die Gläubigen, hat die Kirche hier selbst vom Ansatz her, nimmt man die Verlautbarungen des derzeitigen Papstes als bare Münze der Kirche, Johannes Heinrichs im Schneckenrennen des Redens in solch Positionierungen auf dem Weg der Moderne in die Idealität überholt. Und man muss beachten: Es geht hier ständig nur um das Reden oder Schreiben, nicht um die Tat.

Auch das Grundgesetz startet von einem anderen Ansatz als Johannes Heinrichs. Dies muss so konstatiert werden, weil Johannes die echte Differenz nur als F e h l e r in der Wahrnehmung eines an sich ganzen Systems kennt oder, milder ausgedrückt, als unpassend.  Die Differenz wird medial aufgelöst im Numinosen, Metaphysischen. Womit wir für eine zeitlichen Einordnung der Heinrichsen Systematik einen weiteren Hinweis gegeben haben.

Das Grundgesetz will die Würde des Menschen, nicht die des Deutschen unantastbar und verbindet damit eine Aufgabe aller staatlichen Gewalt und der Deutschen nach den zwei Weltkriegen und unter den Augen der Siegermächte: Sie, die Menschenwürde, nicht unbedingt die der Deutschen als Deutsche, zu achten und zu schützen. Das Grundgesetz sprengt den Rahmen des Deutschseins definitiv. Die Dignität der Deutschen wurde angesichts der Schwere der Vergangenheit klar im Rahmen einer permanenten Aufgabe d e f i n i e r t. Nur die Erfüllung dieser Aufgabe hält die Dignität der Deutschen aus Sicht des Grundgesetzes aufrecht. Diese Definition darf man kritisieren, man sollte es aber mit offenem Visier tun. Und damit ist auch klar, warum sich die Ultrarechten unbedingt eine Verfassung wünschen. Klar sein sollte damit auch, wie schwierig es wird, heute hier einen Diskurs anzuzetteln, der sich womöglich zwischen den Ultrarechten und dem Idealismus des Grundgesetzes positonieren will. Man setzt sich vollkommen in die Nesseln.

“(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.” Das Grundgesetz schrieb nicht hin: Wenn wir in weiser Voraussicht meinen, dass Flüchtlinge sich kulturell nicht assimilieren werden, sind sie kulturelle Invasoren und wenn sie einmal so bezeichnet sind, schlussfolgernd obzwar nicht gesagt  aber von aufrechten Deutschen getan: als Schädlinge zu bekämpfen.

Schlüsse wie “kulturelle Invasoren” und “fehlende Assimilation” gehen laut obigem Zitat des Grundgesetzes an dessen Grundsatz klar vorbei. Menschenrecht geht darin  v o r  kulturellem Eigentum. Auch mögen solche Formulierungen stichhaltig sein. Die Diskussion muss aber unter Einbezug des Grundgesetzes und der Ultrarechten im Diskurs geführt werden. Beide bilden die Ecken und Kanten heute. Damit hätte man dann einen Ansatz für die Mitte oder für eine realistische Linke. Das Grundgesetz darf diskutiert werden und auf den Prüfstand. Wer traut sich das zu diskutieren mit wem?

Um es ganz deutlich in Hinsicht auf die Kultur zu sagen: vor dem Bewahren von sogenannten kulturellen Resten oder behaupteten deutschen Lebensweisen (nice to have) kommt aber, wie Hegel das Geschichtliche sah, laut Grundgesetz eine Verantwortung, nämlich für die Menschenrechte a priori zu sorgen. Es gibt im übrigen keine lokal verwurzelte friedliche (?) deutsche Kultur mehr, die sich lokal befindlich befindet und nur durch Konservierung der Lokalität wie eine bestimmte vom Aussterben bedrohte Pflanzenart zu erhalten wäre. Die besten Geiger deutscher Klassik sind heute asiatischer Abkunft und sorgen eben für jenen amöbischen Frieden deutscher Klassik globalisiert in den Konzerthallen für alle die vielen Gichtkranken und Idylliker, die mit mir diese Einrichtungen frequentieren, und auf Itunes. Findet sich kulturelles Eigentum systemisch über dem Grundgesetz wieder, liegt laut Ansicht des Grundgesetzes ein kardinaler Gedankenfehler bzw. ein systemischer Steuerungsfehler im ganz persönlichen Kopf vor, eine bedenkenswerte Freiheit, eine bedenkliche.

Somit haben die Herren des Grundgesetzes für den Konflikt vorgesorgt und sich eindeutig in Hinsicht auf diese ganz persönlichen Köpfe positioniert. Sie fordern in Hinsicht auf die Menschenrechte eine klar tendierende Leistung ein und nicht die Meinung, gleich in der allerersten Belastung die Ausdifferenzierung dieser Leistung schwer erträglich zu finden und zu modern in der Aufgabenstellung.

Das Grundgesetz wird in diesen Wochen eine gelebte Verfassung der Deutschen. Das wird dann in den Folgejahren sehr problematisch. Was wird schwer erträglich?

Der Konflikt. Worin entzündet sich der Konflikt?

Das Grundgesetz hat keine Flexibilität in seiner Forderung nach Eintritt für die Menschenrechte vorgesehen. Das Grundgesetz moralisiert schrankenlos in diesem Punkt. Den Eintritt für die Menschenrechte wollten die Väter des Grundgesetzes als kategorischen Imperativ für die Zielgesellschaft der Deutschen (den Begriff “Zielgesellschaft” dankbar übernommen von Don Alphonso – s. “Das Selbstbestimmungsrecht der früher „Volk“ genannten Zielgesellschaft“, 4.1.2018, Welt).

Vermutlich wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und damit unmittelbar nach dem Holocaust unter den Augen der Siegermächte alles andere als ein Konflikt gesehen zwischen dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes als der einen Freiheit, zu leben, wie man in seinen Grenzen möchte, und der laut Grundgesetz schicksalhaften Bestimmung der Deutschen, für die Menschenrechte zu sorgen, z.B. auch im Falle von Zuwanderung in das regionale und begrenzte Staatsgebiet.

Tatsächlich haben die Abfasser und Empfänger des Grundgesetzes  und ihre Nachgeborenen die Verantwortung für die Menschenrechte wohl sehr lange Zeit in keinem wesentlichen Konflikt gesehen zur Selbstbestimmung einer Zivilgesellschaft.

Dieser Konflikt wird aber nun einer der globalen Blockbuster unter den politischen Debatten. Warum? Gerade weil diese Debatte nicht geführt wird. Sie will diesen Konflikt als etwas völlig menschliches nicht sehen. Der Konflikt innerhalb der Begegnungsfelder Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte, auch genannt Gesellschaft wird tabuisiert. Die Gesellschaft tabuisiert nicht nur Mitglieder, Menschen sondern sich selbst: Und auf dieser Basis soll dann eine weglenkende Debatte geführt werden, die regelmäßig im Kindergartenjargon von Gut und Böse landet. Diesen Schwachsinn durchbrachen in der griechischen Klassik früher die Kyniker. Unter den Deutschen ist diese Arbeitsgruppe ausgestorben. Anderswo werden diese gezielt getötet.

Also, der Freiheitsgedanke muss wieder in die Menschenrechte eingeführt werden. Dieser Freiheitsgedanke sollte nicht ausschließlich von Rechts kommend debattiert werden. Das wird den linken Parteien von mir vorgeworfen. Freiheit war früher links!

Den obigen Konflikt aus durchaus untereinander kontrovers und konträr verstehbaren und handelbaren Grundsäulen von Menschsein und Gesellschaft “Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte” darf der heutige Blockbuster der politischen Diskussion aber wegen politischen Korrektheit eben nicht  im Titel tragen. Diese Anständigkeit biegt regelmäßig die eigentlichen Fragen ab. Sie werden so entsorgt. Folge davon ist, dass sie ein Perpetuum Mobile werden und in unterdrückter Form die Gesellschaft endlos beschäftigen.

Eigentlich wäre der Konflikt zwischen den Grundsäulen Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte ein lohnendes Geschäft für die Philosophie und für jeden, der sich daran versuchen will. Ein lohnendes Geschäft für Wellen an Shitstorm und Verfemtheit.

Veröffentlicht am: 4. Nov 2015 um 22:10, aktualisiert 6. November 2018

 

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