Die Minderbemittelung der deutschen Nation in ihren auswärtigen staatlichen Angelegenheiten

24. November 2021
Geschichte , heute aktuell , Kommentare , Zeitgeschehen
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Das Auswärtige Amt in Berlin und seine Vorgänger glänzen seit der Kaiserzeit nicht mit dem Erzielen einer für Auswärtige Angelegenheiten grundlegenden Benchmark: der Kombination aus Diplomatie und Strategie, verfolgt mit dem klaren Ziele, diese zum Wohle des eigenen Landes einzubringen.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_20090307_aussenministerium.jpg
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_20090307_aussenministerium.jpg. Das Gebäude sieht schon wie ein Lückenfüller aus.

Diese Benchmark ist der deutschen Außenpolitik leider in den letzten 120 Jahren nicht wegweisend gewesen. Es fehlt jedweder Lerneifer, hier international wenigstens einen Grundkurs zu absolvieren und zu den anderen Staaten, die sich als relevant zeigen, aufzuschließen.

Dem Deutschen Volke Reichstag - Bundestag - pixabay-86456
Dem Deutschen Volke Reichstag – Bundestag -pixabay-86456

Es fehlt beständig, so kann man von keinem Retardieren sprechen, an dem Was, was dem eigenen Land gut tut; das nun bald schon 120 Jahre lang, nicht an verschiedenen Formen des Wie. Friedrich der Große, Bismarck, Adenauer und Genscher sind vielleicht Ausnahmen.

Bismarck am Schreibtisch
Bismarck am Schreibtisch, 27. Dezember 1886, (A Bockmann Lübeck)

Womöglich fehlen passende Kaderschmieden in Deutschland und ein analytischer, im guten Sinne von machiavellistischer Staatssicht getragener Geschichtsunterricht, der sich zunächst am Basalen orientiert, Politik und Gesellschaft eher nicht als etwas Fatales anzusehen, sondern einem Allerweltsumstand geschuldet, welchen es schlichtweg zu managen und nicht zu huldigen gilt oder moralisch zu verfolgen: Ein Staat sollte, bei allem Dilettantismus der Steuerung, wenigstens die an ihm ausgeübten Operationen objektiv überleben. Letzteres Ausüben könnte dann gut oder schlecht, vorausschauend oder eben in Form von Augen-Zu praktiziert sein, ähnlich dem Umgang mit der eigenen familiären Haushaltskasse, wie dies jede Kleinfamilie zu bewerkstelligen hat. Insofern ist Außenpolitik, ob demokratisch oder aristokratisch oder autoritär, sehr ähnlich der Finanzpolitik. Sie muss zunächst solide sein und kein Hasard. Würden die Deutschen diese Analogie begreifen, schafften sie womöglich urplötzlich den Abschluss im Grundkurs mit der nötigen Punktzahl.

Deutschland kann, empirisch gesehen, oder, faktisch, wie man will, einfach keine Außenpolitik.

Bundesarchiv Bild 183-54743-0001, Berlin, Luisenstraße, Aussenministerium.jpg
Bundesarchiv Bild 183-54743-0001, Berlin, Luisenstraße, Aussenministerium.jpg

Deutschland hat als spätentwickelte und gleich wieder aufgegebene Nation da, ich sage nicht, es sei die einzige, aber eine Minderbemittlung. Jeder kann das zu jederzeit feststellen. Auch die Nation als Geistigkeit, also als Konstrukt in vielerlei Hirnen, hat Deutschland, über die Geschichte hinweg, nicht vor dem Failed-State-Niveau in der Außenpolitik gerettet. Das Organversagen im Oberstübchen, in der Abteilung Außenpolitik sondermaßen, die krude Schwert bezogene Denke dort, hat dann zu den deutschen Katastrophen geführt, dem multiplen Organversagen.

Einfach, über die Gesamtspanne ein Komplettversagen, geschichtlich gesehen.µ

Bundesarchiv, Bild 183-1991-0207-505 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons
Scherl-Bildtext:
Aussenkommissar W.M. Molotow in Berlin – Empfang durch den Reichsminister v. Ribbentrop im Auswärtigen Amt
Eine Stunde nach seiner Ankunft wurde heute Dienstag, den 12.11.40, 12 Uhr, der russische Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten W.M. Molotow im Auswärtigen Amt durch Minister v. Ribbentrop empfangen
ADN-Bildtext:
Im faschistischen Deutschland 1933-45
Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare und Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, W.M Molotow (3.v.r.) wird am 12.11.1940 mittags um 12 Uhr, eine Stunde nach seinem Eintreffen in Berlin, durch Reichsminister Joachim von Ribbentrop im Auswärtigen Amt empfangen
10008-40

Woher auch? Der 30ig jährige Krieg hat zu solchen Verwüstungen geführt, die  einschnitten in den Nationalcharakter und zu Verkrüppelungen geführt haben in den Gehirnen sehr wahrscheinlich, in den Hirnströmen womöglich. Vermutlich muss man, bei solch einer ausgeprägten Behinderung einer Nation, so weit zurückschauen, um in die Zerstörung zu blicken. Der Deutsche nach der Völkerwanderung und sein Loch, die Pest und der 30ig Jährige Krieg. Sehr wahrscheinlich wird man Geschichte bald im Gehirn identifizieren können, als Buch der Generationen, in dem wichtige Ereignisse sich eingeschrieben haben. Gehirne sind nichts weiter als aktive Speicherplatten, die auch an gewissen Stellen einen Platten haben können oder weniger gut funktionieren und Skurrilität ausbilden, charakterlich Pedanterie, Absonderlichkeiten. Schmerz führt zu Zerstörungen, zu Traumata und das Ergebnis von solch seelischen Vergewaltigungen lässt sich heutzutage in Gehirnen aufzeigen, Landkarten der Zerstörung und Fehlentwicklungen. Soweit können wir ja schon schauen, seit geraumer Zeit. Es fehlt noch an Lesen und Interpretieren, Erkenntnis, an Spiegelung unserer Spiegelneuronen in KI. Bald sieht man, Demolage hier, Aberration hinten, Fehlfunktion da: aha, deutsch! Mit KI feiert die Rassentheorie bald ihr Come back.

Vor rund 200 Jahren gab, in dieser gemeinten und bezeichneten verstümmelten Entwicklung, Meißen bspw. noch an der Universität Leipzig den Namen für eine eigene “Nation” ab und die Bayern waren eine andere: “Nation”.

Eine Sonderstellung nahm Leipzig unter den mitteldeutschen Universitäten und (teils mitsamt seiner “Tochter” Frankfurt an der Oder unter den deutschen durch seine Nationenverfassung ein (Einteilung der Studenten und Lehrkräfte sowie Wahl des Rektors nach Universitätsnationen). Damit folgte es wie Wien dem Vorbild seiner Mutteruniversität Prag, von der seine ersten Professoren und Scholaren ausgezogen waren. Darin unterschied sich Leipzig auch von den der anderen kursächsischen Hochschule, der Leucorea. In Wittenberg galt für die Abfolge der Rektoren zwar ebenfalls ein Viererturnus, mit Wiederkehr der gleichen Anwartschaftskategorie nach vier Semestern, aber nicht wie in Leipzig nach Nationen, sondern nach Fakultäten. Die vier “Nationen”, die sich in feststehender Reihenfolge, scheinbar gleichberechtigt, im Leipziger Rektorat ablösten, sodass jede nach zwei Jahren wieder an der Reihe war, hießen die Meißnische, Bayerische, Polnische und (Nieder-) Sächsische (“natio Misnica”, “Bavarica”, Polonica”, “Saxonica”). Die Meißnische bestand aus Mitteldeutschen, die Bayerische (oder Fränkische) überwiegend aus Süddeutschen und Südwestdeutschen, die Polnische (oder Schlesische) aus Ostdeutschen, die (Nieder-)Sächsische aus Norddeutschen und Nordwestdeutschen. Romanische, ungarische, südslawische und griechische Ausländer zählten zur Bayerischen Nation, west- und ostslawische (ohne Slowaken) wie auch Litauer zur Polnischen, germanische, darunter angelsächsische, zumeist zur Sächsischen (alles wie aus alter Prager Sicht).

Die Meißnische Nation, benannt nach der Mark Meißen als wettinischem Altland, war die kursächsisch-thüringische, die des mitteldeutschen Kerns. Sie umfasste Studenten und Dozenten aus dem Hauptteil von Kursachsen und ernestinischen Herzogtümern Thüringens. (…)

Siehe zu dem, nach mittelalterlichem Vorbild, lustig diversen Thema Nationen und Universitäten: S.247, Halle-Leipziger Aufklärung, Mitteldeutsche Aufklärung Band 1, Günter Mühlpfordt. Mitteldeutscher Verlag, 2011.

Zu den lustig diversen Nationen und Zugruppierungen zu Nationen als universitäres Organisationsspiel gegen jede aufklärerische Wissenschaftlichkeit und Empirie drängt sich mir eine Parallele in der Diskussion von Stefan Aust und Kishore Mahbubani am vergangenen Montag auf und Kishore Mahbubanis bemerkenswerte Einschätzung zu dem, was richtig sei, in Bezug sowohl auf den Umgang mit Taiwan als auch insbesondere in Hinsicht auf die Kniffeligkeit der offiziellen Definition von Taiwan durch Dritte. Eine logisch unsaubere, nicht kategoriale, unorthodoxe, also unordentliche Lösung des Nichtstuns im Behandeln des offiziellen Status, scheint ihm die beste, weil pragmatisch damit letztendlich ein heißer Krieg hinausgezögert wird. Auch die Leipziger Rektorenlösung, als Praxis übernommene Tradition aus Prag, steht zwar nicht in seiner unebenmäßigen Gestalt als Ausgeburt vor einem der vielen drohenden Kriege, die ja ein besonderer Standard Europas waren, sondern existiert als eine Besonderheit in einem Kontinuum vor dem außerordentlichen Hintergrund des 30.jährigen Krieges und dem damals allzu lang schief hängenden Segen im europäischen Haus. Nun Kishore Mahbubani:

Es gibt eine einfache Lösung: Wir hatten 50 Jahre Frieden, weil wir an allen möglichen Arten von Mehrdeutigkeit festgehalten und keine Klarheit gesucht haben. Lassen wir alles, wie es ist! Halten wir an der Ein-China-Politik fest. Und gleichzeitig können die USA inoffizielle Beziehungen zu Taiwan unterhalten. Aber sobald man an diesem Status quo etwas ändert, wird das eine Kaskade von Ereignissen auslösen, die nicht mehr zu kontrollieren ist.

https://www.welt.de/politik/ausland/plus235294754/Stefan-Aust-und-Kishore-Mahbubani-Ich-garantiere-Ihnen-dass-China-in-einem-solchen-Fall-den-Krieg-erklaeren-wird.html

Villa Emil Georg von Stauß, Pacelliallee, Berlin-Dahlem, erbaut 1913-14, später u.a. Residenz der amerikanischen Stadtkommandanten in Berlin und Gästehaus des Deutschen Außenministeriums, seit 2009 im Privatbesitz
Villa Emil Georg von Stauß, Pacelliallee, Berlin-Dahlem, erbaut 1913-14, später u.a. Residenz der amerikanischen Stadtkommandanten in Berlin und Gästehaus des Deutschen Außenministeriums, seit 2009 im Privatbesitz, Foto 27 June 2011, picture by uploader; architects Cremer & Wolffenstein (1914)

Zurück zu den Auswärtigen Angelegenheiten und der Außenpolitik der Deutschen, über lange Zeitspannen hin beobachtet: Womöglich liegt diese außenpolitische Dämlichkeit, die manchmal wie Schusseligkeit ausschaut, manchmal einen sprachlos zurücklässt, an dieser langen Fragmentierung der deutschen Festplatte und diese womöglich deutlich mit an den Verheerungen des 30. jährigen Kriegs. Weiter bin ich hier noch nicht in meinen Entdeckungen, Zweifel hegen sich an dieser Theorie, der 30. Jährige Krieg war ja nicht ausschließlich in Deutschland. Möglicherweise war Deutschland aber insgesamt zu oft Kriegsschauplatz, wie bei einem Boxer auch die Schläge und die Vielzahl davon, dann zu einer Kränklichkeit des Gehirns führen können und öfters führen als bei dem Teil der Bevölkerung, der dieses Einschlagen auf das Gehirn nicht als Sport ausübt.

Berlin, Wilhelmstraße ADN-ZB/Archiv Berlin 1934; die Wilhelmstraße hat anläßlich des Todes von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2.8.1934 Halbmast geflaggt, l. die Reichskanzlei (Wilhelmstraße 77), daneben das Auswärtige Amt (Wilhelmstraße 76). 101-46
ADN-ZB/Archiv
Berlin 1934; die Wilhelmstraße hat anläßlich des Todes von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 2.8.1934 Halbmast geflaggt, l. die Reichskanzlei (Wilhelmstraße 77), daneben das Auswärtige Amt (Wilhelmstraße 76).
101-46

Es könnte aber auch sein, dass die Kontrollgruppe der Boxer von vornherein zu wenig Respekt vor ihrem Gehirn hat, das gewissermaßen dies wie Vereinszugehörigkeit mit sich trägt als Spezialität und zu viel sie deshalb darauf gegenseitig herumdreschen, gibst Du mir, gib ich Dir.

Bundesarchiv, Bild 146-1983-028-08 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons
Gebäude des Auswärtigen Amtes, Wilhelmstr. 75/76, mit Fahnen
um 1935

Möglicherweise machen Kriege selbst dümmer, wie auch das Eindreschen auf das Gehirn, was dann in seinem Häuschen zu viel hin und her wackelt. Immerhin eine interessante krude Theorie, die vielleicht Einiges für sich hat. Intelligenz, Kunst und Kultur hatten, ich meine sehr wohl im weltweiten Maßstab messbar, aber auch ohne Messung ihren historisch nachvollziehbaren Höhepunkt in Deutschland definitiv vor dem 1. Weltkrieg. Danach begann der Abstieg. Schon der 1. Weltkrieg war den Deutschen für ihre Seelengesundheit definitiv zu viel. Die Therapie an den Deutschen nach dem 1. Weltkrieg war kontraproduktiv, wie so viele Therapien, dies bis heute so sind.

Berlin 1927 Das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße, von der Behrenstraße gesehen. [Scherl Bilderdienst] Anm.: Es handelt sich um das Gebäude Wilhelmstraße 74 (bis 1919 Reichsamt des Innern). Links anschließend das Reichspräsidentenpalais (Wilhelmstraße 73)
Berlin 1927 Das Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße, von der Behrenstraße gesehen. [Scherl Bilderdienst] Anm.: Es handelt sich um das Gebäude Wilhelmstraße 74 (bis 1919 Reichsamt des Innern). Links anschließend das Reichspräsidentenpalais (Wilhelmstraße 73)
Positiv lässt sich hervorheben, dass die Deutschen mit dem Herrn Schröder nicht im Irak waren.

White House photo by Paul Morse, Public domain, via Wikimedia Commons
Präsident George Bush und Bundeskanzler Gerhard Schroeder sprechen am 9. Oktober vor den Medien von den Stufen des Weißen Hauses im Rosengarten. George W. Bush and Gerhard Schröder address the media from the White House steps in the Rose Garden. 9 October 2001, White House photo by Paul Morse (via Wikimedia Commons)

Sonst fällt aus näherer Zeit nichts ein. Ohnehin war Schröder als Kanzler ein positiver Ausrutscher in der Polit-Wüste Deutschland, der letzte professionelle Regierende. Seinen pensionären Russland-Devotismus halte ich hingegen für unterirdisch. Die große Aufgabe der Deutschen wird heute sein, sich sehr bald geeignete Politiker für die in der Politik zu besetzenden Aufgabensektoren zu suchen. Die Geduld der objektiven Verhältnisse, man mag es Geschichte nennen, wenn es vorbei ist, kennt Grenzen.

On February 18, 1943, a few weeks after the catastrophe of Stalingrad, Dr. Goebbels posed a mass gathering in Berlin's Sportpalast the question: "DO YOU WANT TOTAL WAR?" An enthusiastic "yes" was the Nazi gathering's answer. Today Germany knows what "total war" means, better than Goebbels and his yes-shouters in the Sportpalast foresaw. The total war that the Nazis wanted will be continued with ever severer force and effect until Germany capitulates unconditionally. THE GERMAN PEOPLE MUST CHOOSE FOR THEMSELVES: EITHER continuation of the total Nazi war until German manpower and industry is completely destroyed — OR: see back between circa 1943 and circa 1944, Own retouching of U.S. Government propaganda work; author: U.S. Government
On February 18, 1943, a few weeks after the catastrophe of Stalingrad, Dr. Goebbels posed a mass gathering in Berlin’s Sportpalast the question:
“DO YOU WANT TOTAL WAR?”
An enthusiastic “yes” was the Nazi gathering’s answer. Today Germany knows what “total war” means, better than Goebbels and his yes-shouters in the Sportpalast foresaw. The total war that the Nazis wanted will be continued with ever severer force and effect until Germany capitulates unconditionally.
THE GERMAN PEOPLE MUST CHOOSE FOR THEMSELVES:
EITHER continuation of the total Nazi war until German manpower and industry is completely destroyed — OR: see back
between circa 1943 and circa 1944, Own retouching of U.S. Government propaganda work; author: U.S. Government

Zum Thema Auswärtiges Amt, bspw. im Jahr 1943, gibt Hans-Georg von Studnitz folgende, kleine Innenansicht zum Besten, neben vielen anderen, wonach man nun heute gar nicht sagen kann, “unter Hitler hätte es all das nicht gegeben”. Erschütternd sind umgekehrt die Parallelen zu heute im Organisationsversagen, siehe bspw. Räumung Kriegsschauplatz Afghanistan, die Kontinuität, die sich, typisch deutsch, als Kataklysmus im Ordentlichen verfolgen lässt zu einem sehr ordentlichen Kataklysmus. Lesen Sie selbst aus seinem Tagebuch:

Das Auswärtige Amt bewältigt >seine< Katastrophe nicht gerade glücklich. Obwohl seit Monaten Ausweichpläne festgelegt, obwohl Richtlinien über Richtlinien und Rundschreiben über Rundschreiben zu diesem Thema erlassen, obwohl ein eigener Staatssekretär (Keppler) beauftragt wurde, die Evakuierung und andere Katastrophenmaßnahmen vorzubereiten, klappt nichts. (…) Die Katastrophe wäre eine gute Gelegenheit, um den Personalbestand des Auswärtigen Amtes radikal abzubauen. In diesen Tagen zeigt es sich, wie groß der Leerlauf in dieser Behörde ist. Der Krieg geht weiter, ohne daß sich der Ausfall des Auswärtigen Amtes bemerkbar macht. Allen kriegslähmenden Bürokratien sollte man jetzt den Garaus machen. Typisch ist, daß der Vertreter des OKW, der uns über die militärische Lage auf dem laufenden zu halten hat, entweder überhaupt nicht oder stundenlang verspätet erscheint, mit der Begründung, ihm stünde kein Wagen zur Verfügung! Daß er zu Fuß von der Bendlerstraße in die Wilhelmstraße nur zehn Minuten benötigt, ist ihm noch nicht eingefallen. Mit unvorhergesehenen Situationen fertig zu werden, liegt den Deutschen nicht.

1945, Luftaufnahme - Berlin - Anhalter Bahnhof, Autor unbekannt.
1945, Luftaufnahme – Berlin – Anhalter Bahnhof, Autor unbekannt.

Zu dem Thema Weltmachtallüren der Deutschen schreibt Hans-Georg von Studnitz in seinem Tagebuch am Dienstag, den 11. Januar 1944. Auch hier gibt es Parallelen der Arroganz und Ignoranz, die des Gusto des besseren Deutschen, eine gewisse Gepflogenheit, wie man bspw. meint, wie man mit den Ukrainern umzugehen habe, den Nichtswürdigen:

Die Lorbeeren, die unsere Armeen in Rußland pflückten, sind in den Händen der zur Verwaltung der eroberten Räume eingesetzten politischen Stellen schnell verwelkt. Wir lassen unter den Völkern der Sowjetunion keine Freunde zurück. Am bittersten wurden die Ukrainer enttäuscht. Nicht einmal in den baltischen Staaten ist es zu einem harmonischen Verhältnis mit der Bevölkerung gekommen. Grausamkeit, Ungeschick, Korruption der Okkupationsbehörden haben uns Freundschaft und Achtung verscherzt.

Unsere Administratoren ließen es an allem fehlen, was ein erobertes Land mit der Niederlage versöhnen kann. Wissen und Bildung mangelte ihnen nicht weniger als sittliche Haltung. Die negativen Seiten des deutschen Charakters traten in den besetzten Ostgebieten zu hemmungslos hervor. So haben wir den Osten politisch verloren, noch bevor unsere militärische Vertreibung einsetzte.

Aus Hans-Georg von Studnitz, Als Berlin brannte – Tagebuch der Jahre 1943 – 1945, Seite 182, Bastei Lübbe Band 10561, 1985

Derselbige zitiert in seinem Tagebuch am Samstag, den 5. Februar 1944 einen Kommentar in der Zeitung “Suisse”, den ich hier ebenfalls wiedergeben möchte:

February 1943. Sowjetunion, Raum Charkow.- Zwei Soldaten der Waffen-SS vor einem brennende Gebäude (Bauernhaus) stehend; SS-PK Bild 101III-Zschaeckel-186-37
February 1943. Sowjetunion, Raum Charkow.- Zwei Soldaten der Waffen-SS vor einem brennende Gebäude (Bauernhaus) stehend; SS-PK Bild 101III-Zschaeckel-186-37

“Wenn Deutschland am 22. Juni 1941 seinen Feldzug gegen die Sowjets begann, um den Bolschewismus zu stürzen, so müßte es wenigstens die nichtrussischen Völker auf seine Seite bringen; es wäre wahrscheinlich leicht gewesen, sie von Moskau loszulösen, wenn man ihnen für den Fall des Sieges die Unabhängigkeit zusicherte. Statt dessen hat Deutschland sofort seinen Plan enthüllt, diese Ostgebiete auf eigene Rechnung zu regieren und auszubeuten, so daß es sich für diese nichtrussischen Völker nicht mehr darum handelte, von der Bevormundung durch Moskau frei zu werden, sondern nur noch, die Fremdherrschaft zu wechseln.

Die russische Propaganda hat diesen Fehler der deutschen Politiker ausgenutzt, und die deutsche Wehrmacht erschien den Völkern der Union nicht mehr als ein möglicher Befreier, sondern als ein Eroberer, der zurückgeschlagen werden müsse. Die Macht der Moskauer Regierung über die Gesamtheit der Völker ist nicht erschüttert, sondern im Gegenteil gestärkt worden. Ihre Autorität ist jetzt so groß, daß sie, ohne eine Machtzersplitterung befürchten zu müssen, den Gliederrepubliken der Union eine gewisse Autonomie gewähren kann. Daß diese Autonomie mehr Schein als Wirklichkeit ist, macht nichts aus. Die Maßnahme ist nichtsdestoweniger dazu angetan, der Moskauer Regierung bei der Erreichung ihres doppelten Zieles zu helfen: Förderung des Anschlusses neuer Republiken an die Sowjetunion und Steigerung des Einflusses in der Weltpolitik.”

aus Hans-Georg von Studnitz, Als Berlin brannte – Tagebuch der Jahre 1943 – 1945, Seite 196 – 197, Bastei Lübbe Band 10561, 1985.

August 1943. Berlin.- Am Morgen nach dem britischen Bombenangriff (23./24.8.1943). Inmitten ihrer geretteten Habe haben die beiden Frauen Platz genommen und warten auf den Abtransport. Ausgebombte nach britischem Luftangriff. Bundesarchiv, Bild 146-1978-085-28 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons
August 1943. Berlin.- Am Morgen nach dem britischen Bombenangriff (23./24.8.1943). Inmitten ihrer geretteten Habe haben die beiden Frauen Platz genommen und warten auf den Abtransport. Ausgebombte nach britischem Luftangriff. Bundesarchiv, Bild 146-1978-085-28 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en>, via Wikimedia Commons

Die Ukraine lassen wir alleine, im Stich. Alles östlich der Oder bevormunden wir. Man sieht vom Deutschen nur den erhobenen Zeigefinger, solange es nicht um das Gas von Russland geht, was unsere Stube warm hält. Vereinbarungen mit den Amerikanern, sich deutlich in der Ukraine zu engagieren, verlaufen ins Nichts. Die Ignoranz ist allgegenwärtig, der Narzismus der Nation, die Selbstbespiegelung die Gleiche wie damals.

Die Leute in Deutschland sind wieder durchideologisiert, bis zum Geht-Nicht-Mehr an allen Realitäten vorbei verpeilt und ebensolch Biedermänner und Frauen. Noch sitzen wir nicht in unseren Trümmern. Das Unheil konstellieren wir aber schon selbst, nicht die Sterne tun das gegen uns und nicht der Andere, der Unmensch, wer es auch sein mag, je nach politischem Lager.

Studnitz Villa (Danke wiki commons)

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